Zwei Kitas mit Reggio-Zertifizierung

Bild links: Leiterin Susanne Loos (Links) vor der Kita Im Obergrund in Tanusstein-Hahn. Frau Loos koordiniert die Reggio-Entwicklung zwischen den Obermayr-Einrichtungen. Bild rechts: Seit 2009 gibt es die Kita Campolino (Rechts) in Taunusstein-Neuhof: Das Leitungsteam Heike Steinbacher und Christina Nink- Effenberger.

Die Reggio-Pädagogik nimmt in den Obermayr-Einrichtungen einen breiten Raum ein. Vor 6 Jahren wurde das Obermayr-Rahmenkonzept („Obermayr-Pädagogik“) vorgestellt. Seit fünf Jahren wirkt Prof. Dr. Tassilo Knauf an der Umsetzung mit. Die fachliche Koordination liegt seither in der Verantwortung von Susanne Loos und Dagmar Maas. Im September 2013 haben die Einrichtungen „Im Obergrund“ und die Einrichtung „Campolino“ das begehrte Zertifikat „Anerkannte Reggio-inspirierte Einrichtung“ von Dialog Reggio Deutschland e. V. erhalten. Beide Einrichtungen sind die ersten im Rhein-Main-Gebiet, die diese Qualitätsbestätigung für sich in Anspruch nehmen können.

Was ist die Reggio-Pädagogik?

Die Reggio-Pädagogik benennt sich programmatisch nach der norditalienischen Stadt Reggio Emilia. Diese stellt als Träger von rund vierzig Krippen und Kindertagestätten den juristischen, finanziellen und konzeptionellen Rahmen der Praxis der Reggio-Pädagogik. Die Phase der Entwicklung des besonderen pädagogischen Profils der reggianischen Kindereinrichtungen lag in den Jahren zwischen 1962 und 1973. Der Pädagoge Loris Malaguzzi spielte dabei eine führende Rolle. Seit den 1980er-Jahren kommen internationale Besuchergruppen nach Reggio, um in den städtischen Kindereinrichtungen zu hospitieren. 1981 wurde die Wanderausstellung „Die 100 Sprachen der Kinder“ konzipiert. Sie ist seither in vielen Ländern gezeigt worden, zuletzt unter dem Titel „The Wonder of Learning“ im Juni 2012 in Chemnitz. 1991 wurden die reggianischen Kindereinrichtungen von der amerikanischen Zeitschrift Newsweek als beste vorschulische Institutionen der Welt ausgezeichnet.

Kinder als Forscher ernst nehmen

In der Reggio-Pädagogik wird das Kind als Konstrukteur seiner Entwicklung und seines Wissens und Könnens betrachtet. Als Entdecker und Forscher will das Kind die Welt verstehen und sie in ein System von Sinn und persönlichen Bedeutungen integrieren. Zugleich erweitert das Kind durch Experimente, durch Versuch und Irrtum seine alltagspraktische und soziale Handlungsfähigkeit.

Von zentraler Bedeutung für Bildungsprozesse ist in der Reggio- Pädagogik der Aufbau emotionaler Identifikation mit dem Gegenstand des Interesses: Das Kind lernt nur, wenn es von einer Sache begeistert, beseelt, in sie „verliebt“ ist. Zugleich wird der Kommunikation und Interaktion mit anderen (Kindern und Erwachsenen) in Reggio ein hoher Stellenwert eingeräumt: Kinder setzen sich mit den Vorstellungen anderer auseinander und konstruieren in diesem Auseinandersetzungsprozess ihre eigenen Überzeugungen. Das von Bateson, Pierce, Watzlawick, von Glasersfeld u. a. entwickelte Paradigma einer (ko-)konstruktivistischen Weltdeutung spiegelt sich in der Vorstellung wider, dass Lernen nie fertiges, sondern nur vorläufiges Wissen konstruiert, das immer wieder neuer Deutungen bedarf. In den Forschungsprozessen der Kinder geht es daher nicht um den Erwerb „richtigen“ Wissens, sondern um die Erprobung von Strategien für die Annäherung an Wahrheit.

Projekte spielen in der Reggio-Pädagogik zur Gewinnung von alltagsbezogenen Fertigkeiten und vor allem von Selbst- und Weltverständnis eine besondere Rolle. Die Prozessstruktur reggianischer Projekte lebt insgesamt von der variierenden Wiederholung der Momente Wahrnehmung – Reflexion – Aktion – Kommunikation. Projekte entwickeln sich vielfach aus Spielhandlungen, Gesprächen, Entdeckungen oder Beobachtungen der Kinder. Sie basieren auf dem Interesse und oft auch auf konkreten Erlebnissen der Kinder. Die Zahl der Projektteilnehmer hängt daher allein von der Interessenbindung der Beteiligten ab.

Ein wichtiges Element der reggianischen Projektpraxis ist die sinnlich-gegenständliche Darstellung der Handlungsprozesse durch großflächige Wand- („sprechende Wände“) oder Heftdokumentationen. Zu ihren Bestandteilen gehören Arbeiten und Äußerungen von Kindern, Fotos oder auch Videos, die den Aktionsprozess der Kinder darstellen. Die Erzieherinnen sind für Materialauswahl und Gestaltung der Dokumentationen verantwortlich. Vielfach werden die Kinder an der Dokumentationserstellung beteiligt. Dadurch werden ihre Eigenverantwortlichkeit und Identifikation mit ihren Handlungsprozessen und deren Dokumentation gestärkt. Dies vermittelt den Kindern Wertschätzung, Rückmeldung, Anlässe zum sich Erinnern. Auch für Erzieherinnen und Eltern stellen die Projektdokumentationen wichtige Informationsquellen über das Denken, Fühlen und Können der Kinder und deren Entwicklung dar.

Kinder, Eltern und Erzieherinnen bilden ein Wirkungsgefüge, in dem alle versuchen, für eine optimistische Grundstimmung und eine positive emotionale Beziehung untereinander zu sorgen. Eltern werden als Experten ihrer Kinder verstanden, die daher für die Erzieherinnen wichtige und regelmäßige Gesprächspartner sind.

Der Raum erfüllt als „dritter Erzieher“ für Kinder zwei Hauptaufgaben: Er vermittelt ihnen Geborgenheit und zugleich Herausforderungen. Er umfasst auch das von den Kindern erschließbare Umfeld: die Straßen, Plätze, öffentlichen Gebäude ebenso wie die Reste von Natur in der Stadt und an deren Rand.

Innerhalb der Einrichtung entwickelt sich ein dialogisches Verhältnis zwischen den Kindern und dem räumlichen Ambiente. Räume übernehmen verschiedene pädagogische „Rollen“. Sie sollen eine aktivierende Atmosphäre des Wohlbefindens schaffen, die Kommunikation in der Einrichtung stimulieren, gegenständliche Ressourcen für Spiel- und Projektaktivitäten bereitstellen und Impulse geben für die Wahl der Kinderaktivitäten. Daher sind Räume, auch die Gruppenräume, überwiegend mit Schwerpunktfunktionen ausgestaltet, also als Kinderrestaurant, Atelier, Bauraum, Rollenspieloder Forscherraum gestaltet.

Dialog Reggio e. V.

In Deutschland wird die Reggio-Pädagogik seit 1995 durch Dialog Reggio e. V. gefördert. Der Verein hat das Ziel, die Erfahrungen und Ergebnisse der Pädagogik aus dem norditalienischen Reggio Emilia in Deutschland zu verbreiten und erlebbar zu machen. Der Verein steht unter der Leitung von Professor Dr. Tassilo Knauf, emeritierter Erziehungswissenschaftler an der Universität Bielefeld.

Gerhard Obermayr, Tassilo Knauf

Quelle: Eduaktiv Magazin 1-2014

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